Die Schlangenfelsen sind unser!


Braunellenstern hatte sehr unruhig geschlafen. Sie waren von der großen Versammlung zurückgekehrt und am liebsten hätte sie sofort eine Versammlung einberufen, doch sie war zu müde gewesen, zu erschöpft. Einfach erschöpft von allem, was besprochen und gesagt worden war. Und sie wollte erst einmal sacken lassen, was auf der großen Versammlung gesagt wurde, denn es setzte der braun gescheckten sehr zu. Fichtenstern hatte Jagdrechte eingefordert. Nicht darum gebeten oder danach gefragt, nein, er ließ keine Widerworte zu und nahm sich in seinen Augen das, was ihm zustünde. Natürlich hatte die Wurzelclan Anführerin abgelehnt, hatte gesprochen wie eine Löwin, genauso mutig. Aber der braun getigerte Kater ließ nicht mit sich reden, mehr noch, er hatte gesagt, es würde Blut fließen. Und wo Blut floss, war der Tod nicht weit entfernt. Würde es so weit kommen?
Mal wieder ließ Fichtenstern sie da stehen wie ein Schüler, der nicht wusste, was er zuerst nach seiner Ernennung tun wollte. Das Lager besichtigen oder Jagd- und Kampftraining absolvieren.
Schlimmer noch, dass sie nun ganz alleine in ihrem Bau war. Ihr Gefährte und bester Freund Falkenherz schlief im Bau der Krieger. Als sie ins Lager zurückgekommen waren, hatte sie kurz mit Rindenseele gesprochen und beide waren sich einig, dass sie die Schlangenfelsen verteidigen würden und häufigere Patrouillen dorthin, sowie auch an die Grenze zum GlutClan, den Donnerweg, schicken würden. Total erschöpft hatte sich die Kätzin dann in ihrem Bau auf das weiche Moosnest gelegt und versuchte zu schlafen. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Stattdessen lag sie da, wach, zweifelnd, ob es das richtige war, sich gegen Fichtenstern zu behaupten und seine Forderung mit Pfoten zu treten.
Kurz war sie eingeschlafen, mehrmals, nur um stetig wieder aufzuwachen. Seltsame dunkle Träume verfolgten sie. Fichtenstern, wie er über den Knochen der Wurzelclan Katzen thronte und gehässig lachte. Sie verspottete, dass all die Tode Braunellensterns Schuld seien, da sie nicht einfach nachgegeben hatte, sondern ihre Patrouillen vermehrt geschickt hatte, um ihn zu bekämpfen.
Seufzend vergrub die Kätzin die Nase unter ihrem flauschig hellem Schweif. Wieso nur hatte sie Falkenherz nicht darum gebeten, in ihrem Bau auf sie zu warten? Wie gerne sie mit ihm über die Situation gesprochen hätte, insbesondere jetzt, wo sie am Zweifeln war, ob sie das richtige getan hatte. Er hätte es ihr sagen können, ihr Mut zugesprochen und sie in allem unterstützt, egal worum es ging. Sie hätte sich an sein warmes Fell schmiegen, seinen Duft einatmen und den Rest der Welt um sie herum vergessen können. Doch stattdessen hatte sie ihm gesagt, er könne ruhig schlafen und dass sie ihm am nächsten Tag von der großen Versammlung berichten würde. Dass sie jedem erzählen würde, was dort geschah. Aber dass sie eine solche Ankündigung machen müsste, das war ihr nur zum Teil bewusst gewesen.
Klar, die Anführerin war nicht so naiv gewesen und hatte geglaubt, der GlutClan Anführer würde einfach aufgeben und nicht mehr ihr Terrain betreten. Es war klar, dass er eine Forderung hatte, oder zumindest etwas wollte, was der Wurzelclan gewiss nicht gewillt war zu geben. Aber dass Fichtenstern einfach die große Versammlung verlassen hatte, ohne dass sie weiter darüber hatten sprechen können…
Leise wimmerte Braunellenstern auf. Sie fühlte sich wie ein Junges. Hilflos der Welt ausgeliefert und noch mit geschlossenen, blinden Augen. Wie sollten sie gegen den feindlichen Clan vorgehen? Jeder wusste, wie stark sie waren und es war bestimmt nur ein Zufall gewesen, dass sie im letzten Mond gegen Fichtenstern den Kampf gewonnen hatte. Oder war es SternenClans Wille gewesen? Wie gerne sie Sturmstern, den alten Anführer des WurzelClan fragen würde. Wie gerne sie seine Stimme hören und von ihm erklärt bekommen wollte, was sie am besten zu tun hatte. So, wie damals, als sie zur zweiten Anführerin ernannt worden war und er sie tatkräftig unterstützt hatte, in ihre neue Rolle zu wachsen. Er war da gewesen für sie, immer. Bis zu seinem Tod, der für den gesamten Clan viel zu früh gekommen war. Braunellenstern war zu jung und unerfahren gewesen und dann zur Anführerin aufgestiegen. Natürlich gab es kein Wundern, als sie Rindenseele zu ihrem zweiten Anführer ernannt hatte, schließlich hatten viele damit gerechnet, er würde Anführer werden nach Sturmstern und nicht die braun gescheckte Kätzin.
Dann war da noch diese Prophezeiung, die sie am Mondsee erhalten hatte. ’Nicht jede Schlacht muss geschlagen und nicht jede Herausforderung gemeistert werden. Die tiefsten Wurzeln helfen nicht, wenn der Schatten die Krone verzehrt.’, dachte sie erneut an die Worte. Was bedeuten sie? Sprachen sie von seiner Forderung? Dass sie nicht gegen alles ankämpfen müsse? Es einfach hinnehmen soll? Nein, das konnte der SternenClan unmöglich wollen!
Erneut stieß die Anführerin des WurzelClans ein seufzen aus und öffnete ihre intensiven grünen Augen. Es brachte nichts. Sie konnte nicht nochmal schlafen, die Gedanken wogen zu tief. Also wieso nicht gleich die Versammlung einberufen und dem Clan erzählen, was Sache war. Es weiter vor sich hinschieben brachte keinem etwas.
Die braune Kätzin richtete sich auf und begann, ihr langes Fell zu pflegen. Immerhin könnte ihr Pelz gut aussehen, wenn sie schon selbst aussah und sich fühlte wie eine SternenClan Katze. Es dauerte länger als üblich, vielleicht auch deshalb, weil sie es hinaus zögerte. Sie suchte in ihrem Inneren nach Worten. Nach den richtigen Worten, wie sie es ihrem Clan erklären sollte. Doch wie sagte man es richtig, dass der GlutClan weiterhin auf ihr Territorium kommen und wildern würde? Wie erklärte sie, dass sie es nicht geschafft hatte, ihn daran zu hindern, schlimmer noch, dass er es als sein Recht ansah und Jagdrechte verlangt hatte? Wie sollte sie das ihrem Clan beibringen?
Als Braunellenstern endlich fertig mit ihrer Wäsche war, stand sie auf. Gebrechlich wirkend lief sie zu ihrem Baueingang, straffte davor die Schultern und legte einen eindringlichen Ausdruck zu Tage. Sie würde mit erhobenem Haupt hinausgehen und jeder Katze zeigen, dass sie stark genug waren, gegen den GlutClan anzukommen, genau!
Nachdem sie aus dem Anführerbau gekrochen war, sah sie sich kurz um, aber noch waren nicht viele Katzen wach. Möwenschrei war es, die am Eingang zum Lager Wache hielt. Die Anführerin nickte ihrer Freundin zur Begrüßung zu. Möwenschrei war trächtig, doch Braunellenstern war sich nicht sicher von wem. Schließlich hatte die helle graue Katze keinen Gefährten mehr, nachdem dieser sie verlassen hatte. Doch egal wer es wäre, der ganze Clan würde helfen die Jungen großzuziehen, da machte es auch nichts aus, wenn sie eine kurze Nacht mit einem WurzelClan Krieger hatte, mit dem sie gar nicht zusammen war und es keinerlei Bedeutung gehabt hatte. Dennoch freute sie sich für die Hellgraue, schließlich hatte diese ihre zwei anderen Junge verloren und es würde ihr sicher gut tun, neue gesunde Jungen zur Welt zu bringen und sich voller Hingabe um diese zu kümmern.
Nur ihr Schüler Tropfenpfote bräuchte dann einen neuen Mentoren, wenn Möwenschrei bald in die Kinderstube einzog. Sie wusste, dass der Kater Probleme mit der Ausbildung hatte und nahm sich fest vor, mit Rindenseele zu sprechen, welcher Krieger wohl am besten für den grausilbernen Kater geeignet wäre.
Nun aber hatte sie eine ganz andere Aufgabe zu erledigen. Anmutig kletterte sie die große Wurzel hinauf, die ihnen als Ort diente, um Versammlungen einzuberufen. In diesem Moment kam die Sonne hervor und warf einen warmen Strahl in das Lager. ‘Der erste Sonnenstrahl im neuen Mond.‘, dachte Braunellenstern und sah dies als ein Zeichen, dass es genau der richtige Zeitpunkt war, um die Versammlung einzuberufen. Manche Katzen kamen schon aus ihren Bauten gekrochen,  weil sie auf Patrouillen eingeteilt worden waren oder einfach wie die Anführerin nicht mehr Schlaf finden konnten.
Diese räusperte sich nun leise und erhob dann die Stimme, die klar und deutlich durch das Lager klang. “Ich bitte alle Katzen, die alt genug sind um ihre Beute alleine zu fangen, sich unter der großen Wurzel für ein Clantreffen zu versammeln.“ Wieder mal bat sie und forderte nicht. Nicht so wie ein gewisser aufgeblasener Dachs von Kater. Nein, Braunellenstern bat um dieses Treffen und das würde auch so bleiben, außer es stünde etwas an, das definitiv gefordert werden musste.
Sie wartete ab. Wartete, bis ihre Katzen erwachten und aus ihren Bauten hervor gekrochen kamen, sich unter der großen Wurzel versammelten. Sie sah ihren braun getigerten Gefährten unter ihnen und hätte sich am liebsten in seinem warmen Pelz versteckt. Aber zuerst musste sie das hier hinter sich bringen. Musste ihrem Clan von der großen Versammlung Bericht erstatten. Als sich genügend Katzen versammelt hatten, erhob sie wieder ihre Stimme. Klar und deutlich, ohne Zittern darin. Denn sie war sich sicher, was sie zu sagen hatte. Hatte die ganze Nacht darüber gegrübelt.
“Katzen des WurzelClans. Wir sind von der großen Versammlung mit einer Forderung an uns zurückgekehrt.“, sprach sie direkt aus und wollte nicht um den heißen Brei herum reden. Später wäre noch genug Zeit, um Lauten zu lassen welche Katzen gefallen waren und was es sonst noch zu berichten gab.
“Der GlutClan hat Jagdrechte für die Schlangenfelsen gefordert.“, miaute sie und ließ das Gesagte kurz bei den Katzen des WurzelClans sacken. Hier und da gab es protestierendes Miauen und sie sah, wie die ein oder andere Katze das Fell vor Wut sträubte.
“Natürlich habe ich abgelehnt. Doch Fichtenstern meinte, es sei keine Bitte, sondern eine Forderung, die man nicht ablehnen könne. Es wäre sein Recht einzufordern, da der GlutClan als der stärkste Clan mehr Beute bräuchte.“
Braunellenstern unterdrückte ein Knurren, was ihr jedoch nur halb gelang und dem Clan zeigte, wie aufgebracht sie eigentlich immer noch unter ihrer ruhigen Fassade war.
“Fichtenstern meinte, der GlutClan nehme sich das, was ihm zustünde. Er sagte, ihm stünde mehr zu als den anderen Clans, da sie die Stärksten seien, es sei Gerechtigkeit.“ Kurz zitterte ihre Stimme bei dem letzten Wort vor Wut, doch schnell fasste sie sich wieder, sah sich in der Runde der Katzen um, versuchte, jeder Katze in die Augen zu blicken.
“Der WurzelClan wird nicht einfach so hinnehmen, was der GlutClan für sich beschließt. Wir sind stark. Wir stehen für unsere Grenzen ein und deshalb wird es vermehrte Patrouillen am Donnerweg, sowie an den Schlangenfelsen geben. Keine Katze verlässt alleine das Lager, um zu einem der beiden genannten Orte zu gehen. Wir müssen jederzeit mit einem Angriff des GlutClans rechnen und uns wappnen.“, verlangte Braunellenstern und hoffte, die Katzen stimmten ihr zu, dass niemand alleine diese Orte betreten sollte, außer die Katze verspürte Todessehnsucht.
“Lasst uns dem GlutClan zeigen, dass wir auch stark sein und unsere Grenzen verteidigen können!“, rief sie energisch aus und ließ das Gesagte bei den Katzen sacken. Sie sah Rindenseele unter den Katzen und nickte ihm zu. Er würde nun Patrouillen für den Donnerweg und die Schlangenfelsen einteilen.
“Damit ist die Versammlung beendet.“, entschied sie und machte sich auf den Weg, die Wurzel wieder herunter zu klettern.
Unten angekommen setzte sie sich und beobachtete weiterhin das Verhalten des WurzelClans und, ob sie zu Gesagtem von ein paar Katzen noch etwas hinzuzufügen hätte.
Mittlerweile war die Sonne vollends aufgegangen und leuchtete durch die Bäume mit vereinzelten Strahlen in das Lager des WurzelClans hinein. Hoffentlich würde es ein guter Mond werden und keine Opfer hervorbringen.


An gesamten Clan gerichtet
Alias — Kadse
Kadse ist Offline
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