Der warme Duft von frischem Futter hing noch in Kralles Nase, als er sich schwerfällig auf seinen Lieblingsplatz fallen ließ. Seine Zweibeiner hatten ihn mit einem besonders guten Mahl verwöhnt. Zarte Fleischstückchen, weich und saftig, und nun lag er vollgefressen und zufrieden direkt vor dem großen Fenster, das in den Garten hinausblickte.
Es war bereits Nacht, und draußen flackerte das Licht der Laternen, die seine Zweibeiner im Garten aufgestellt hatten. Ihr sanfter Schein spiegelte sich auf den Scheiben, während ein sanfter Wind die Bäume bewegte. Kralles grüner Blick folgte träge einem Blatt, das vom Wind über den Garten getragen wurde, seine Bewegungen schwer und schläfrig.
Der Kater leckte sich langsam über die Schnauze, ließ den Kopf sinken und bettete ihn auf seine Vorderpfoten. Hier war es warm. Gemütlich. Sein silbergrauer Pelz fing das sanfte Licht ein, das durch das Glas fiel, und mit jedem Atemzug sanken seine Lider ein Stück weiter.
Sein Bewusstsein begann zu treiben.
Er spürte, wie der Schlaf ihn erfasste, wie er schwerer wurde, tiefer sank...
Dann... Stille.
Ein Schatten zog durch seine Gedanken, ein Gefühl von Bewegung, und als er die Augen wieder öffnete, war er nicht mehr vor dem Fenster seiner Zweibeiner.
Dunkelheit erstreckte sich in alle Richtungen, so tief, dass sie keine klaren Begrenzungen hatte. Kralle stand auf festem Boden... oder zumindest fühlte es sich so an, doch seine Pfoten hinterließen keine Spuren. Der Traum fühlte sich anders an als sonst. Er wusste nicht, wie er hierhergekommen war, aber das war keine Seltenheit. Er hatte schon oft geträumt, manchmal lebhafte Bilder, manchmal bloße Schemen. Aber dies... dies war etwas anderes.
Ein silbriger Lichtschein flackerte durch den Nebel, der die Landschaft umhüllte. Neben ihm erstreckte sich ein stilles Gewässer, so dunkel und glatt, dass es eher nach Glas aussah als nach Wasser.
Misstrauisch trat Kralle näher und beugte sich hinab, sein Atem ließ die Oberfläche erzittern. Sein Spiegelbild blickte ihm entgegen und es wirkte klarer, realer, als es in gewöhnlichen Träumen der Fall war.
Er sah sich selbst. Er war jung. Gerade 13 Monde alt. Sein Körper war noch nicht so eindrucksvoll wie er später sein würde, aber man konnte bereits den kräftigen Bau erahnen, der eines Tages seine volle Form annehmen würde. Sein dichtes, silbrig-graues Fell schimmerte im Licht, während die dunkleren Rauchflecken auf seinem Rücken und seinen Flanken noch weicher wirkten, als wären sie noch nicht ganz ausgereift. Seine Schultern waren nicht so breit wie heute, aber schon jetzt trugen sie den Hauch einer Kraft, die später unverkennbar sein würde.
Seine Augen, ein intensives Grün, musterten ihn aus der Wasserspiegelung heraus mit dem gleichen Ausdruck, den er jetzt trug. Wachsam. Fragend.
Dann glitt sein Blick hinab zu seinen Pfoten.
Seine Krallen ragten, wie immer, leicht aus den Spitzen heraus. Sie waren nicht so lang wie heute, aber schon damals unübersehbar. Ein Markenzeichen, das ihn bereits als Junges unterschieden hatte. In diesem Traum wirkten sie noch deutlicher, beinahe überzeichnet.
Er verzog unwillkürlich die Lefzen.
Etwas fühlte sich falsch an.
Dann... eine Bewegung hinter ihm.
Schnell hob er den Kopf und wandte sich um.
Aus der Dunkelheit trat eine Gestalt hervor, ihr Gang federnd, selbstbewusst. Eine Kätzin.
Sie war groß. Ungewöhnlich groß für eine Schülerin. Ihre langen Beine trugen sie mit natürlicher Eleganz, und selbst hier, in diesem fremden Traum, besaß sie eine Haltung, die Kralle unweigerlich an ein Raubtier erinnerte. Ihr beiger Pelz schimmerte im fahlen Licht, die dunklen Abzeichen an ihren Gliedmaßen setzten sich scharf davon ab.
Doch es waren ihre Augen, die ihn fesselten.
Ein tiefes, scharfes Azurblau.
Sie waren kühl, abschätzend. Als würde sie ihn ebenso analysieren, wie er es bei ihr tat.
Kralle spürte, wie sich eine seltsame Spannung in ihm regte.
Er kannte sie nicht.
Er wusste nicht, warum sie hier war.
Und er hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt real war.
Aber eines wusste er:
Dieser Traum würde anders enden als alle vorherigen.
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Die Dunkelheit war tief und allumfassend. Kein Laut, kein Ton, nur ein Gefühl von endloser Leere. Trotzdem wusste Azurpfote, dass sie gerade tief im Land der Träume versunken war. Es war nicht das erste Mal, dass sie eine Pfote in diese Welt gesetzt hatte, die sich dennoch fremd anfühlte. Doch heute war es anders. Klarer, realer.
Ihre Pfoten berührten einen unsichtbaren Boden, hinterließen aber keinerlei Spuren. Der Nebel um sie herum wallte träge, endlos. Ihr Blick glitt umher, suchend, wachsam. Dann fiel er auf das Gewässer, welches sich allmählich vor ihrer Präsenz auftat, als wäre es vorher nicht in ihrem Blickfeld gewesen.
Die Ohren der jungen Kätzin zuckten irritiert, als sich etwas an der Oberfläche bewegte. Ein Kater stand am Ufer, sein Blick in das Wasser gerichtet, wie sie es zuvor getan hatte.
So blieb sie stehen. Ihre Schultern angespannt, doch nicht etwa aus Angst - viel eher aus instinktiver Bereitschaft. Man hatte ihr gelehrt, jeden Fremden, Feind oder Angreifer zu verjagen. Naja, wenn man dann eben auf dem GlutClan-Territorium war. Aber war das? Oder war er viel eher ein Traumgebilde? Ein Bote des SternenClans sogar? Oder einfach nur eine andere Seele, die sich auf Grund irgendeiner höheren Macht hierher verirrt hatte?
Dann trafen seine grünen Augen die ihren, aber einschätzen was er in jenem Moment wohl dachte, konnte sie aber trotzdem nicht. Azurpfote erwiderte diesen stumm, ließ sich zu keinem Herzschlag einschüchtern und signalisierte, dass sie nicht weichen würde.
Die Siamfarbene setzte einen Schritt vorwärts, langsam und bedächtig, aber selbstbewusst. Ihre langen Beine ließen sie größer erscheinen, als sie es eigentlich war - zu ihren Gunsten, wie sie selbst fand. Doch das war nur Fassade. Sie war noch eine Schülerin, gerade acht Monde alt, und dennoch fühlte sie sich in diesem Moment älter, reifer.
Auch er war nicht gerade kleingeraten. Kräftig gebaut, wenn auch nicht ausgewachsen. Sein silbrig-graues Fell hob sich kaum von der düster anmutenden Umgebung ab, und doch wirkten die dunklen Muster auf seinen Flanken wie Rauch, der fahl durch die Nebelschwaden brach. Seine Krallen ragten leicht aus den Pfoten - ein Detail, das ihr auch als unerfahrene Kätzin sofort auffiel, war es doch wichtig, stets ein Auge auf den Feind zu haben. Aber war er das? Ihr Feind?
"Du bist nicht von hier." Ihre Stimme durchschnitt die Stille, kühl und ruhig, aber mit einer jungenartigen Unschuld. Keine Frage, sondern eine Feststellung. Genau genommen, war sie es aber genauso wenig. "Wer bist du?"
Die Stille zwischen ihnen war geladen, als handle es sich um die Ruhe vor dem Sturm selbst. Sie wusste nicht, warum sie hier war und genauso wenig, warum er es war. Herausfinden würde die Schülerin es aber bald, da war sie sich sicher.
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„Du bist nicht von hier.“
Ihre Stimme durchschnitt die Stille wie eine scharfe Kralle, ruhig, aber mit unüberhörbarem Misstrauen.
Der Kater betrachtete sie für einen Moment, nahm ihre hochgewachsene, schlanke Gestalt in sich auf. Ihre kräftigen Schultern, die spitz zulaufenden Gesichtszüge, der stechende Blick. Sie war noch jung, aber sie hatte die Haltung einer erfahrenen Katze. Nicht von denen, die sich leicht einschüchtern ließen.
Er ließ sich Zeit mit der Antwort, fast als würde er die Worte zuerst kosten, bevor er sie sprach.
„Weder von hier… noch von irgendwo anders.“
Sein Schweif zuckte leicht, und er ließ den Blick wieder über den dichten Nebel gleiten, der die Welt um sie herum verschlang.
„Wer bist du?“
Eine einfache Frage, eine mit einer ebenso einfachen Antwort. Doch stattdessen neigte der Kater leicht den Kopf, seine grünen Augen blitzten auf.
„Und wenn ich dich dasselbe frage?“
Er musterte sie aufmerksam. Kein Name. Nicht jetzt. Namen hatten Bedeutung, Namen banden einen an Orte, an Zugehörigkeit. Und in dieser Welt… gab es keine Namen. Nur das Hier und Jetzt. Oder?
Der Wind zog sanft durch den Nebel, und das Wasser kräuselte sich an den Rändern des Ufers. Ein unbestimmtes Gefühl lag in der Luft. Irgendetwas an dieser Begegnung war anders. Kralle spürte es. Ein Echo, ein Flüstern tief in seinen Gedanken, das ihm sagte, dass dieser Traum nicht einfach ein Traum war.
Er wusste nur noch nicht, was das bedeutete.
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Ein zarter Windhauch trieb die dichten Nebelschleier über das Wasser, streifte kaum wahrnehmbar über Azurpfotes Flanken, die sich langsam hebten und senkten. Sie rührte sich nicht - nur ihr langer Schweif schnippte einmal, als hätte die Antwort des fremden Katers einen Nerv getroffen.
"Weder von hier… noch von irgendwo anders."
Was für eine sinnlose Antwort. Oder eine gefährliche. Azurpfote runzelte kaum merklich die Stirn. Spielte er mit ihr? Oder war er tatsächlich so verloren, wie er in jenem Moment klang?
Ihre azurblauen Augen - eine Hommage an ihren Namen - blieben auf ihm haften. Ruhig, forschend und vor allem vor lauter Neugier funkelnd. Er hatte ihre Frage nicht beantwortet, sie stattdessen zurückgeworfen. Mit einer Tonart, die mehr zu verbergen schien als sie zu sagen wagte.
"Und wenn ich dich dasselbe frage? "
Die Ohren der jungen Siamkätzin zuckten frustriert. Der Kater war nicht dumm - sie aber auch nicht, keineswegs!
"Dann würdest du lernen, dass ich jemand bin, der lieber klare Antworten gibt, als in Rätseln zu sprechen."
Ihre Stimme war noch immer ruhig, aber durchaus frech und generell herausfordernd. Sie trat einen weiteren Schritt näher, und der Boden unter ihren Pfoten blieb stumm, ohne Widerhall, als würde sie sich auf Wolken bewegen.
"Ich bin Azurpfote aus dem GlutClan und werde mal eine grandiose Kriegerin sein, deren Name der ganze Wald kennen wird!" Ein Name, der etwas bedeutete. Zugehörigkeit, Loyalität, Herkunft.
Ihr Blick glitt weiterhin über den Fremden, langsam und prüfend, als könnte sie durch den Nebel seiner Worte sehen.
"Und du bist jemand, der sich hinter Rätseln versteckt. Wieso? Aus Angst? Pfff, das verstehe ich - der GlutClan ist nun mal der stärkste Clan des Waldes und wir werden unserem Ruf gerecht! Aber wenn du schon vor mir Angst hast, dann hast du noch nicht unsere Krieger gesehen." Für einen Moment strahlte die Schülerin über beide Ohren - wie die hellste aller Sonnen.
Eine Weile war nur das Plätschern am Rand des Gewässers zu hören. Dann schrägte Azurpfote ihren zarten Kopf leicht zur Seite, als würde sie ihm einen Gedanken anvertrauen, den sie eher zögerlich aussprach.
"Ich bin auch nicht von hier, wenn dir das hilft."
Ein letzter Blick - herausfordernd, forsch. Dann schwieg sie, denn die Kätzin hatte gesprochen. Jetzt war er wieder dran, denn so funktionierte das doch, oder?
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Alias — Moxxie
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»Dann würdest du lernen, dass ich jemand bin, der lieber klare Antworten gibt, als in Rätseln zu sprechen. Ich bin Azurpfote aus dem GlutClan und werde mal eine grandiose Kriegerin sein, deren Name der ganze Wald kennen wird!«
Der große silbergraue Kater rührte sich nicht, als Azurpfote näherkam. Seine grünen Augen blieben auf das Wasser gerichtet, wo der Nebel sich kräuselte, als hätte er gelauscht. Nur sein Ohr zuckte, als ihre Worte den Raum füllten. Selbstbewusst, spitz, so voll vom Feuer der Jugend, dass es beinahe schmerzte.
Kralle sagte zunächst nichts. Azurpfotes Worte hallten noch in der Luft nach. So stolz, so sicher. GlutClan . Eine, deren Name einmal Gewicht haben sollte. Ihre Stimme war wie ein Funkenschlag im Nebel. Hell, scharf und so ganz anders als die gedämpften Töne, die ihn umgaben.
Er senkte den Blick auf seine Pfoten, starrte einen Moment lang auf das helle Licht, das sich darin spiegelte, wie ein ferner Mondschein im Wasser.
»Und du bist jemand, der sich hinter Rätseln versteckt. Wieso? Aus Angst? Pfff, das verstehe ich - der GlutClan ist nun mal der stärkste Clan des Waldes und wir werden unserem Ruf gerecht! Aber wenn du schon vor mir Angst hast, dann hast du noch nicht unsere Krieger gesehen.«
„Kralle“ , murmelte er. Fast tonlos. Dann wiederholte er es, etwas fester: „Ich nenne mich so. Weil…“
Er hob eine Vorderpfote leicht an, spreizte die Zehen, ließ das matte Licht über die gebogenen Krallen tanzen. „Weil das das Einzige ist, was ich an mir kenne. Was zu mir gehört.“
Ein kurzes Zucken seiner Schultern folgte, kaum sichtbar im Nebel. „Ob’s ein guter Name ist, weiß ich nicht. Aber er passt. Und niemand hat mir je einen anderen gegeben.“
Er dachte an seine Zweibeiner, die ihn immer unterschiedlich rufen. Mal war es Boy, Flohfänger, Großer oder Dicker.
Seine bernsteinfarbenen Augen musterten sie nun vorsichtiger. Nicht abwehrend, aber prüfend. Diese Kätzin war jung, voller Feuer. Ganz anders als er. Und doch hatte sie es gesagt: Ich bin auch nicht von hier.
„Vielleicht ist das der Grund, warum wir uns treffen konnten“ , sagte er leise, ohne zu wissen, woher die Worte kamen. Sie waren einfach da, wie Tropfen, die aus einem Ast fielen. „Weil wir beide anders sind.“
Er machte einen kleinen Schritt nach vorn, aber nicht auf sie zu. Eher, als müsste er einfach irgendwohin gehen, damit die Gedanken nicht stagnieren.
„Du willst, dass man deinen Namen kennt.“
Ein kurzer Blick. Dann:
„Ich will nur wissen, wer ich bin.“
Und damit schwieg er.
Natürlich freute er sich über das weiche Körbchen im Nest der Zweibeiner und das Futter, das stets bereitstand. Es war warm. Sicher. Irgendwie… bequem. Und doch war da dieses Ziehen, was er nicht unterdrücken konnte.
Nie durfte er hinaus. Höchstens schaute er durch das Fenster, starrte hinaus auf Bäume, Wolken, andere Katzen. Manchmal saß eine dieser fremden Gestalten draußen auf der Mauer, warf ihm einen Blick zu, ehe sie wieder verschwand. Dorthin, wo er nicht hin durfte.
Manchmal dachte er daran, einfach zu springen. Die Welt zu erkunden.
Aber dann war da auch diese Angst. Oder vielleicht nur… das Unbekannte.
Und jetzt stand sie vor ihm. Jung, stolz, voller Namen und Geschichten und sprach von einer Welt, die er nicht einmal benennen konnte.
Vielleicht war das der Grund, warum er hier war.
Warum sie beide hier waren.
Weil er endlich anfangen musste, Fragen zu stellen.
Und weil sie ihm gezeigt hatte, dass es überhaupt welche gab.
Alias — Leni
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