Wo der Regen jede Spur verschlingt

Der Fluss sang heute kein friedliches Lied.

Der Regen fiel in dichten, schweren Schleiern auf das Flussufer nieder, so unnachgiebig, dass selbst Schneesterns dichtes Fell keinen wirklichen Schutz bot. Der Wind trieb den Regen schräg über das Wasser, ließ die Oberfläche unruhig tanzen und verwischte Gerüche, bevor sie sich überhaupt richtig festsetzen konnten. Schneestern stand am Rand des aufgeweichten Ufers, die Pfoten tief im nassen Boden, den Blick flussaufwärts gerichtet. Die Strömung war schneller als gewöhnlich, lauter auch; jeder Herzschlag schien sie daran zu erinnern, dass Flussgeist irgendwo dort draußen verschwunden war.

„Wir beginnen hier am Flusslauf“, miaute sie schließlich, wobei ihre Stimme gegen Wind und Regen ankämpfen musste. „Wir arbeiten uns flussaufwärts vor, bis zur Trauerweide.“ Dort, wo Flussgeist verschwunden war. Dort, wo man sie gefangen hatte. So berichtete es Krähenruf. Bei dem Gedanken schmerzte ihr Herz. 

Ein weiterer Windstoß fuhr durch ihr Fell und lenkte sie von dem Schmerz ab, denn sie tief in ihrem inneren empfand. Sie spannte die Muskeln, um nicht die Balance zu verlieren. Regen sammelte sich in Tropfen an ihren Ohren, rann kalt über ihre Wangen. Doch sie blinzelte nur kurz und sprach weiter. „Von dort aus ziehen wir zum alten Fuchsbau. Die Markierungen müssen erneuert werden, und wir sollten jede Spur prüfen, die uns begegnet.“

Sie wusste, dass der Regen die Beute scheu machen würde, den Boden glitschig und die Luft schwer. Aber der NebelClan hungerte, und selbst schlechtes Wetter war kein Grund, die Suche oder die Jagd aufzugeben. Sie wäre auch bereits früher aufgebrochen, doch als die Sonne aufging, war es zu stürmisch für so eine große Patrouille. 

„Wenn sich unterwegs eine Gelegenheit ergibt,“ fügte sie hinzu, „fangen wir, was wir kriegen können.“
Kurz hielt sie inne, ließ den Blick über die beiden Katzen schweifen, die sie begleiteten. Ihre Augen wirkten ernst, fester als sonst. Nicht aus Härte, sondern aus Entschlossenheit. Sie war entschlossen, ihr Bestes zu geben, um Flussgeist zu finden. Auch wenn die Aussicht darauf sie zu finden, schwindend gering war, wollte sie das noch nicht ganz wahr haben. Auch, wenn sie es besser wissen sollte...

„Wir gehen so weit, wie wir können,“ sagte sie mit einem leisen Knurren gegen den Wind. „Wenn es nötig ist, bis der Mond hoch am Himmel steht. Es darf heute keinen halben Weg geben.“

Der Wind zerrte wieder an ihrem Fell. Schneestern atmete tief durch, den Blick auf die Biegung des Flusses gerichtet, hinter der die Weide lag. Ihr erster Orientierungspunkt, ihr erstes Ziel.

Dann setzte sie die Pfote voran.
Der Regen würde sie nicht aufhalten.

Und ihre Begleiter auch nicht. 
Da war sie sich sicher. 


Angesprochen:

@Eismond

, @Steinherz

Alias — Leni
Leni ist Offline
85 posts