Maybe this time, you'll stay
Die Sonne stand bereits an ihrem höchsten Punkt und wärmte die Luft mit ihren sanften Strahlen. Inzwischen merkte man recht deutlich, dass Blattfall angebrochen war, war die Luft doch bereits recht kühl. Und würde noch kühler werden je näher die Blattleere rücken würde.
Mit rhythmischen Strichen hatte Beerennase über ihr Fell geleckt, um es zu säubern während sie sich einen Sitzplatz in der Sonne gesucht hatte. Wie so oft hatte sie sich ihren Gefährten herbeigewünscht, damit er ihr mit dem Putzen am Rücken helfen würde. Schon vorher hatte er ihr dabei geholfen doch seit ihrer Trächtigkeit war Beerennase ungelenkiger geworden. So hatte sie stattdessen mit ihrem weißen Brustfell weitergemacht und anschließend mithilfe ihrer Pfoten ihre braungestreiften Ohren gesäubert.
Nun wanderte ihr grüner Blick über das Lager, beobachtete Patrouillen, die zurückkehrten oder gerade aufbrachen. Beobachtete unterschiedliche Katzen, die sich zusammengesetzt hatten, um Zeit miteinander zu verbringen und miteinander zu reden. Und sie? Sie würde sich nun zu einem Spaziergang außerhalb des Lagers aufmachen. Silberlicht hatte ihr erneut einen Vortrag gehalten, dass sie sich mehr bewegen sollte. Etwas verwundert hatte sie die blaugraue Kätzin angesehen, da sie sich seit ihrem letzten Vortrag deutlich mehr bewegte. Scheint auch wieder nicht richtig zu sein. Doch hatte die Braungestreifte zugestimmt und Besserung versprochen statt zu widersprechen und zu protestieren.
Mit einem leisen Ächzen und unter Anspannung ihrer Muskeln erhob sich die trächtige Kätzin auf ihre zierlichen Pfoten und setzte sich in Bewegung. Wieselfeuer war sicher wieder außerhalb des Lagers unterwegs, um die Grenze zu kontrollieren oder für den Clan zu jagen. Ihn konnte sie schwer fragen, ob er sie begleiten wollte. Im Gehen blickte sich Beerennase nach Eismond um, mit dem sie vor einigen Sonnenaufgängen gesprochen hatte. Doch auch den schneeweißen Kater konnte sie nirgends entdecken. Du brauchst auch keine Begleitung! Genau! Sie war eine erwachsene, große Kätzin, die ihr Jungen-, Schüler- und Kriegerleben allein gelebt hatte bis sie Wieselfeuer kennengelernt hatte! Auch ihre Eltern hatte sie dazu nicht gebraucht. Zumindest redete sie sich das ein denn insgeheim beobachtete sie Mütter, Väter und ihre Jungen - ob jung oder älter - mit ein wenig Eifersucht. Wie ihr Leben wohl verlaufen wäre, wenn Karpfensprung und Schilfohr ihr mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätten? Wäre sie auch so schüchtern und scheu geworden? Hätte ihr Leben eine andere Richtung genommen? Ob sie auch dann die Gefährtin von Wieselfeuer geworden wäre? Oder wäre sie zu selbstbewusst gewesen, um sich von dem eigentlich cholerischen Kater unterbuttern zu lassen? Hätte er überhaupt Interesse an ihr entwickelt?
Beerennase hatte nicht gemerkt, dass sich ihr jemand genähert hatte, je näher sie dem Lagerausgang gekommen war. Erst als sich eine braungestreifte Gestalt in ihr Blickfeld schob. Sie hob ihren runden Kopf und blickte Schilfohr aus ihren mandelförmigen, grünen Augen etwas überrascht an. Wann hatte sich ihr Vater ihr zuletzt so offen genähert? Er fragte sie, ob er sie begleiten dürfe und ein wenig zögerlich hatte die trächtige Kätzin genickt. Ob es einen Grund hatte, dass er sich ihr gerade jetzt annäherte? Wo die Geburt der Jungen kurz bevorstand? Ob Karpfensprung etwas damit zu tun hatte? War das wieder ein Ergebnis der Sprunghaftigkeit ihrer Mutter, dass sie mit ihren Enkeln engeren Kontakt knüpfen wollte und schickte deshalb ihren Gefährten vor? Ein Gedanke, der Beerennase einen Stich versetzte denn insgeheim wünschte sie sich, dass sich das Verhältnis zu ihren Eltern und insbesondere ihrem Vater bessern würde.
Ihre zierlichen Pfoten hatten sie in recht langsamen Tempo zur Blumenwiese geführt. Längere Zeit war sie nicht mehr hier gewesen. Öfter mal was neues. Der schwache Duft der spärlichen Blumen drang in ihre rosafarbene Nase, die ihr den Kriegernamen gegeben hatte. Beerennase blieb stehen und atmete ein paar Mal tief durch. Zwar war ihr Ziel nicht allzu weit vom Lager entfernt dennoch hatte sie der Weg hierher angestrengt. Als sie ein wenig besser Luft bekam, setzte sie sich wieder in Bewegung, um ihren Spaziergang mit ihrem Vater fortzusetzen.
Alias — Jacky
Jacky ist Offline
27 posts
Heute. Heute war der Tag an dem Schilfohr sich vorgenommen hatte zu seiner Tochter zu gehen. Das Wetter heute war schön, obwohl der Blattfall schon weiter vorangeschritten war. Die Luft war kühl, aber die Sonnenstrahlen wärmten sein Pelz und schienen ihm einen sanften Schubs, einen Stoß in die richtige Richtung zu geben. Der Krieger saß mit einem weiten Abstand von seiner Tochter entfernt, und während er sich über die Pfote leckte und über sein Ohr fuhr, wurde ihm schmerzlich bewusst, wie man diese physische Distanz symbolisch auch auf etwas anderes übertragen konnte. Und das war traurig. So sollte ein Vater-Tochter Verhältnis miteinander nicht sein. Und das schlimmste? Ich war Schuld. Und bin es immer noch. Wie konnte er als Vater bloß so versagt haben? Er hätte konsequenter sein müssen. Er hätte seine Gefährtin zur Rede stellen sollen oder ihr zumindest in aller Ruhe klar machen müssen, was für Konsequenzen das haben würde. Das sie eine Verantwortung hatten, ob sie nun wollte oder nicht. Stadtessen hatte er alles mit seinem Schweigen und seiner inneren Zerrissenheit schlimmer gemacht. Mit seinem Zögern. Oh, wie gerne er mutiger sein wollte, in Hinsicht seiner Familie, seiner Liebsten.
Schilfohr wusste, dass vieles mit seiner eigenen Geschichte zu tun hatte, aber das war lediglich eine Erklärung, keine Entschuldigung. Du bist nun schon 50 Monde, langsam musst du deine eigenen Beine in die Pfoten nehmen und die Dinge gerade biegen. Eigentlich ist das schon längst fällig.
Und das wollte er auch. Heute. Schilfohr atmete tief durch, spannte seine Muskeln an. Aber warum konnte er sich nicht bewegen? Warum war er an seinem Platz festgekettet? Als hätten seine Zweifel und Ängste sich zu Wurzeln materialisiert und sich hartnäckig in den Boden unter sich gegraben. Der getigerte Kater beobachtete, wie Beerennase sich aufrichtete, was ihr deutlich schwerer fiel als früher, was kein Wunder angesichts ihres runden Bauches war.
Und dann begann sie sich zu bewegen. Richtung Lagerausgang. Nein! Ich wollte doch zu ihr! Heiße Verzweiflung versengte die Wurzeln augenblicklich, die ihn an Ort und Stelle banden, und ohne, dass er es bemerkte, tappte er eilig, aber leise auf Beerennase zu. Schilfohr konnte dabei keinen klaren Gedanken fassen. Während er zu ihr eilte, während er fragte, ob er sie begleiten durfte und schon gar nicht als sie zusagte, anstatt abzulehnen was ihr volles Recht gewesen wäre.
Schilfohr brachte nur ein kleines Nicken zustande und passte sich stumm ihrem Tempo an, während er neben Beerennase herlief.
Endlich! Endlich war er über seinen Schatten gesprungen und hatte sich getraut, hatte nicht mehr gezögert! Aber was jetzt? Was sollte er sagen?
Schilfohr blieb stehen und atmete zeitgleich mit seiner Tochter durch, aber nur um sich zu beruhigen und seine Gedanken zu sortieren. Wie sollte er ein Gespräch anfangen, dass andeutete, was seine Intentionen waren? Oder sollte er mit der Tür ins Schloss fallen? Er hatte die Befürchtung, dass sie gar nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte und nur aus Höflichkeit nicht ‘Nein’ gesagt hatte. Er könnte es ihr nicht verübeln. Aber...was, wenn die Chance bestand, dass sie ebenfalls noch Hoffnung hatte, dass sie sich näherkommen konnten? Wollte sie das überhaupt?
“Danke, dass ich dich begleiten darf.” , begann Schilfohr und schenkte ihr ein leichtes, aber dankbares Lächeln. Dann schluckte er und richtete seinen schlammgrünen kurz nach vorne. “Wie geht es dir, Beerennase?” , fragte er dann ehrlich interessiert und musterte seine Tochter von der Seite. Schilfohr wusste nicht, wie er an ihrer Stelle auf so eine absurde Situation reagieren würde, aber er wünschte, dass Beerennase die Wahrheit sagte. Am besten sollte sie ihm all die Dinge an den Kopf werfen die sie über ihn und seine unentschuldbaren Fehler dachte, und wie sie sich fühlte. Aber war Beerennase zu sowas überhaupt imstande?
Alias — Connor
Connor ist Offline
6 posts