Wer nicht sehen kann, muss spüren.
Es war keine spontane Aktion des kleinen Katers. Tagelang hatte er daran gearbeitet Leopardenteichs Unterbewusstsein zu trainieren nicht darauf zu reagieren, falls er sich von ihrem schlafenden Körper entfernte.
Anfangs hatte die Kätzin ihn noch fest umklammert oder den Schweif um ihn geschmissen, war sogar aufgewacht und hat ihn geputzt. Doch Stück für Stück hatte er sich weggerollt, weggestreckt oder ist nur neben ihr eingeschlafen statt wie gewohnt dicht an sie gepresst.
Oft genug wollte er seinen Plan verwerfen, denn es kostete ihn nicht nur schönen Schlaf, sondern auch die Wärme der Kätzin, welche ihn immer wieder zurück ins Bett lockte.
Oft genug ist der kleine Kater auch nach kurzer Zeit wieder eingeschlafen.
Nur kurz ausruhen… , dachte er sich dann immer, bevor der Schlaf ihn ergriff.
Was seinen Plan auch noch erschwerte, war es herauszufinden, welche Tageszeit es momentan war.
Immerhin konnte er dies schwer sehen. Für ihn war immer Nacht.
Nacht war dann, wenn es nicht nur das Lager ruhig war, sondern auch die Natur - und Katzen schnarchten. Das würde ihn wohl eines Tages auch erwarten, wenn er in den Kriegerbau ziehen muss.
Schleierjunges wartete ungeduldig darauf, endlich Schüler zu werden.
Aber noch ungeduldiger war er, endlich Leopardenteich auch etwas zurückgeben zu können. Sie hatte ihm so viele Spielsachen gebracht.
Und die Erzählungen der Ältesten am vorherigen Tag, als das Geschenk des Sternenclans stattfand, hatte ihn nur noch mehr ermutigt, seinen Plan schnell umzusetzen. Was ist, wenn er später als üblich als Schüler ernannt wird, nur weil er nicht nur blind war, sondern sich auch nicht wie ein übliches Junge verhielt, das Unfug stiftete?
Immerhin konnte er das Lager nicht mit seinen Augen erkunden, sondern mit seinen anderen Sinnen.
Sein Leben fing erst richtig mit seinem dritten Mond an, an dem Tag, an dem er erblindete.
Was, wenn er erst mit 9 Monden zum Schüler wird?
Er wäre eine Last!
Er schüttelte diese Gedanken ab.
Schritt eins hatte er geschafft. Der kleine Kater stand unentdeckt im Eingang des Jungenbau.
Nun kam es zur nächsten Herausforderung.
Die Blumenwiese finden.
Dort wollte Schleierjunges Blumen für Leopardenteich finden. Vielleicht sogar schon eine Maus fangen! Dann musste Schneestern ihn zu einem Schüler machen! Blumen waren aber eher sein Ziel.
Aber wo genau befand sich die Blumenwiese? Die ganzen beiläufigen vagen Beschreibungen, die die Katzen am vorherigen Mondhoch von sich gaben, half einem blinden Kater nicht.
Was er aber wusste, war, dass der Anführerfelsen sich in der Mitte des Lagers befand. Vielleicht könnte er dann von dort aus die Blumenwiese erschnuppern? Immerhin führten bestimmt viele Wege an diesem vorbei.
Dass der Heilerbau und dessen Heiler hier auch eine wichtige Rolle spielten, vergaß der kleine Kater aber komplett.
Geduckt und vorsichtig tastete er mit einer Pfote nach einer Wurzel im Boden, die für ihn der Startpunkt seiner Reise war. Schleierjunges wusste inzwischen, wie viele Schritte er zum Kriegerbau, Schülerbau und Frischbeutehaufen brauchte. Gestern hatte er vergessen, seine Schritte zum Anführerfelsen vor Aufregung zu zählen, aber er wusste diese trotzdem ganz grob. Nur die Richtung musste er erneut und diesmal ohne Leopardenteichs Hilfe herausfinden.
Mit seiner linken Pfote tastete er den Boden ab und spürte, an welchen Stellen das Gras platt getreten und zertreten war und sich mehr lehmiger, vertiefter und festerer Boden stattdessen dort befand. Es blieben gar nicht mehr so viele unbekannte Pfade übrig, und die zielstrebige Richtung ‘Mitte’ war dann doch leichter als gedacht.
Er schlich geduckt voran. Zwar war er sich sicher, dass niemand auf der Lagerlichtung weilte, aber trotzdem wusste er nicht, wie gut man ihn sehen konnte oder wie dunkel oder gut getarnt er war.
Das Gras wurde immer weniger Richtung Anführerfelsen durch das Laufen und Rennen etlicher Katzen tagtäglich. Zusätzlich hörte er das vertraute leise Plätschern des Rinnsaals, das den Anführerfelsen umgab.
Endlich beim Anführerfelsen angekommen, war sich der Kater plötzlich sehr unsicher. Er hatte schon lange gebraucht, bis zum Anführerfelsen.
Was, wenn Sonnenaufgang war? Er war sich gar nicht sicher, wie lang ein Mondhoch war.
Eins war nun klar.
Die Blumenwiese musste auf ein anderes Mal warten.
Aber noch wollte er nicht zurückkehren.
Der Kater prüfte die Luft und hoffte sofort erkennen zu können, aus welcher Richtung eine deutliche Blumennote kam.
Dem war leider nicht so.
Es roch aus verschiedenen Richtungen blumig, und der Nachtwind half ihm nicht weiter. Manchmal war sich Schleierjunges sicher und dann verunsicherte der Wind ihn durch einen Richtungswechsel.
Dem Kater kam ein Gedankenblitz.
Gestern schwärmten alle von diesem Sternenclan.
Die könnten ihm doch dabei helfen? Musste man dem Sternenclan nah sein? Schneestern befand sich doch immer hoch auf dem Anführerfelsen.
Bisher hatte sich Schleierjunges weiterhin nicht getraut, auf etwas zu klettern. Er mochte seine vier Pfoten fest auf dem Boden. Der Boden war vertraut und sicher. Doch vielleicht könnte er auch vom Anführerfelsen aus besser riechen?
Sehen zu können, hätte mir viel erspart , seufzte er innerlich.
Der tastete sich sehr zaghaft voran. Hatte er einen Vorsprung mit beiden Pfoten erfühlt, zog er sich mit den Vorderpfoten und einem kleinen Sprung hoch.
Sofort erfasste ihn eine primitive Angst, die ihn den Atem anhalten ließ. Isoliert auf dem kleinen Steinvorsprung auf dem Anführerfelsen. Er erstarrte und musste sich erst einmal wieder fassen.
So hoch konnte es gar nicht sein. Außerdem konnte er doch keinen Rückzieher machen! Stur drückte er sich an den Felsen, nach Halt suchend und tastete leise nach dem nächsten Vorsprung. Für diesen musste er sich auf die Hinterbeine verlagern und in die Höhe strecken.
Nun aber wurde dem kleinem Kater doch sehr mau und sein Herz hämmerte in seiner Brust wie ein gefangener Vogel. Es fühlte sich nun doch sehr hoch an. Ein wenig hätte er schwören können, war der Wind hier oben eisiger und wilder. Sein blinder Blick neigte sich gen Himmel.
Ob dort oben gerade die Sterne leuchten? Ob sie ihn hier unten sehen konnten? So etwas wie der Sternenclan.
Ein wenig beruhigte ihn dieser Gedanke dann doch. Aber nur weil er ihnen stur zeigen wollte, dass er in der Lage ist, einen Felsen zu besteigen.
Das Junge hatte noch keinen Gedanken daran verloren, wie er wieder herunterkäme.
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Mit einem Schrecken wurde die junge Kriegerin wach, hob ihren Kopf und spürte noch ihr Herz, wie es in der Brust hämmerte und Kleinmotte hatte Angst, es könne ihren Brustkorb sprengen. Die Angst umklammerte sie noch immer, gab sie nicht frei und schien sie wie gefangen zu halten. So dauerte es einige Herzschläge, bis die junge Kriegerin sich aus dem Nest erheben konnte und in die dunkle Nacht raustrat. Töte sie! Du musst endlich lernen zu töten, wenn es drauf ankommt! Noch immer konnte sie die Worte von Rosenherz hören, welche sie im Traum zwingen wollte, einen unschuldigen Schüler zu ermorden. Kleinmotte schüttelte den Kopf und versuchte die Gedanken abzuschütteln. Ein ehrenwerter Krieger muss nicht töten. Gedanklich versuchte sie sich zu trösten, sich zuzureden, dass die Kätzin was Falsches von ihr verlangte. Doch Rosenherz hatte ihr so viele Kampfzüge gezeigt, hatte viel mit ihr trainiert und hatte sie unterstützt. War es wirklich falsch, was die Kätzin nun verlangte, oder lag Kleinmotte falsch und war vielleicht zu verweichlicht?
Ganz von dem Gedanken loslassen konnte Kleinmotte nicht, doch ihre Gedanken rückten etwas in den Hintergrund, als sie Schleierjunges auf dem hohem Felsen in der Lagermitte antraf, von dem aus Schneestern immer ihre Clantreffen einberief. Was macht Schleierjunges mitten in der Nacht im Lager? Und ganz alleine noch dazu. Langsam trottete die Kätzin zu dem blinden Jungen und schnaubte kurz »Schleierjunges. Was treibt dich denn mitten in der Nacht aus der Kinderstube raus? « fragte sie mit ruhiger Stimme und beobachtete, wie das blinde Junge es auf den Felsen geschafft hatte. »Willst du etwa ein Clantreffen einberufen, Schleierstern? « mauzte die Kätzin und hoffte, es würde Schleierjunges gefallen ein kleines Spiel zu spielen. Schließlich hatte sie damals mit ihrem Bruder auch immer solche Spiele gespielt. Erlenjunges wurde zu Erlenstern und Kleinjunges war die Stellvertreterin ihres Bruders, hatte sich damals Kleinschweif genannt und gefühlt wie ein richtiger Krieger. Nun war sie eine richtige Kriegerin, doch so heldenhaft wie in ihren Jungentagen fühlte sie sich überhaupt nicht.
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