Eisenkiefer hatte seinen Blutsbruder direkt abgefangen, als dieser nach verrichteter Arbeit eines Kriegers zurück ins Lager gekehrt war. Er hatte sich nur einen kurzen Augenblick genommen, um einen Vogel vom Frischbeutehaufen in wenigen Häppchen zu verschlingen. Er war ein wichtiger Teil des Clans, ein fähiger Krieger und Jäger mit großem Hunger. Wer viel leistete, der musste sich ausreichend stärken. Splitterkralle interessierten nicht die missbilligenden Blicke, die ihm teilweise zugeworfen wurden. Er füllte beinahe tagtäglich diesen Beutehaufen und als Kern des Clans war es sein Recht, seinen Hunger zu stillen, um bei besten Kräften zu sein. Er würde sicher nicht hungern, damit ein überflüssiger Ältester ein Mittagsmahl hatte, schon gar nicht jetzt, da die Blattfrische angebrochen war.
Es gab nur drei Katzen, mit denen er ein Stück Fleisch geteilt hätte, maximal vier. Mit seiner Gefährtin Blutmond, die ihn als einzige von seiner sanften Seite kannte. Mit seinem Blutsbruder Eisenkiefer, falls er zu Kräften kommen musste. Mit Kupferstich, seiner ehemaligen Schülerin, weil er schon seit einer Ewigkeit predigte, dass sie so hager nicht ihr volles Potential ausschöpfen könnte. Und mit etwas Glück hätte Schleierpfote einen gnädigen Meister der Schleiereulen kennengelernt, schließlich musste ein Schüler wachsen und gedeihen, er war Teil der Zukunft des Blitzclans. Aber nur vielleicht.
Nachdem er gespeist hatte, kehrte er zu seinem vermeintlichen Bruder zurück. Dort stießen auch die anderen Mitglieder – nicht besonders zu seiner Erheiterung – zu ihnen; Dunkelnebel, Hermelinfang und dessen Schüler Krähenpfote. Entnervt rollte er die Augen, machte sich gar nicht die Mühe es zu verbergen. »Das kann ja was werden. Ich werde Nerven aus Stahl brauchen und einen gnädig gestimmten Sternenclan, der diese Katzen zum Schweigen anregt.«
Eisenkiefer lief zwar voran, aber Splitterkralle legte rasch einen Zahn zu, um neben ihm zu traben. Niemand – ja nicht einmal sein Adoptivbruder – würde Splitterkralle anführen, nicht auf einer Patrouille, nicht auf einer Jagd, zu keiner einzigen Zeit, die von Sonne oder Mond bestimmt wurden. Wäre Jadestern oder Felsensprung anwesend, hätte er sich gezwungenermaßen zurückgehalten, doch warum Kräfte investieren, um sich zu zügeln, wenn sie an anderer Stelle sinnvoller aufgehoben waren? Er hatte keine Ahnung, ob Eisenkiefer ihm heute friedlich gestimmt war, wie es an den meisten Tagen der Fall war oder ob es ihn störte, als sie grau in grau nebeneinander liefen, obwohl der Langhaarkater zum Patrouillenanführer ernannt wurde. Sollte es den Goldäugigen interessieren? »Ich verdamme dein langes Haarkleid und die dunklen Schattierungen deines Fells«, grummelte er lautlos. Denn es waren die Anzeichen, die sichtbar machten, dass Eisenkiefer und Splitterkralle nicht verwandt waren.
Die fünf Kater – im wahrsten Sinne des Wortes eine Gruppierung geprägt von Testosteron – tauchten in die Schatten des Düsterwaldes ein. Der Aschgraue fühlte sich auf jedem Terrain wohl, seine Ballen waren perfekt auf jeden Grund angepasst, für jedes Gebiet abgestimmt und wie dafür geschaffen. Das jedenfalls dachte er. Er war sehr von sich überzeugt ohne Gedanken daran zu verschwenden, ob und welche Schwächen er besaß. Und jetzt wollte er seine Krallen in ein Beutetier rammen, bevor seine Nerven mit diesen Katern auf die Probe gestellt wurden.

Splitterkralle lief zügig neben seinem Adoptivbruder Eisenkiefer und wunderte sich keineswegs, als dieser kein einziges Wort verlauten ließ, dass er neben ihm die Patrouille führte. Sonst hielt auch der Rest der Truppe ihren Rand. Gut so. Je weniger seiner Nerven sie schon auf dem Hinweg vergeudeten, desto mehr blieben für die Jagd selbst und den Rückweg. Der Aschgraue sah in dem Schüler die Zukunft des Clans, wie in jedem jungen Leben. Er schätzte Königinnen, weil sie den Clan mit der Zukunft versorgten und stärkten. Diese Jungen, diese Schüler würden im entsprechenden Alter zu Kriegern und letztendlich auch in ihre Pfotenstapfen treten. Dann würde er selbst in den Ältestenbau ziehen, aber viel lieber würde er nach seinem Kriegerdasein einfach sterben. Vielleicht würde er sich eines Tages dazu entscheiden sich das Leben zu nehmen. Ob dann ein Junges mit seiner Seele wiedergeboren werden würde?
Hermelinfang, hatte sich bisher äußerst zurückhaltend gezeigt. Sein Schüler dagegen plapperte und plapperte ohne Sinn und Verstand. »Weshalb ist Hermelinfang für deinen Erfolg bei der Jagd verantwortlich?«, raunte Splitterkralle mehr zu sich selbst als zur Gruppe. Ob ihn jemand gehört hatte, war ihm absolut schnurz piep egal. Wer könnte ihm schon etwas anhaben? Der Gefürchtete ging nicht weiter auf das Geschnatter des grauen Schülers ein, er ahnte schon, dass der Patrouillenführer sich um dieses wachsende Problem kümmern würde. Und als ob er sich dessen sicher war, reagierte Eisenkiefer einen Augenblick später. Mit seinem typischen, grantigen, neutralen, fordernden Ton sagte er ein paar Worte und wies die Clangefährten dann an, sich aufzuteilen. Hermelinfang inklusive Anhängsel und Dunkelnebel würden in diese Richtung ziehen und Beute machen. Dunkelnebel… Splitterkralle atmete tief aus. »Wie gut, dass auch er bisher geschwiegen hat. Er hat schon bewiesen was für ein sprunghaftes Madenhirn er ist. Er soll nicht sinnlos in der Gegend herum flirten, sondern für Nachwuchs im Clan sorgen, wenn er sich schon nicht binden will. Sein Umwerben soll mir recht sein, solange dabei die Stärke des Clans wächst.« Der massige Kater schätzte Dunkelnebel eigentlich nur wegen seines Ehrgeizes. Solange er nicht für kräftige Junge sorgte, hatte er für diesen Charmeur nichts übrig. Da war ihm Hermelinfang deutlich lieber. Der dunkelbraune Krieger war gefasst, ehrgeizig und bemühte sich um Perfektion, wenn er dafür reizbarer war, konnte der Goldäugige damit gut leben. Er selbst war schließlich auch nicht mit den widerstandsfähigsten Nerven gewappnet.
Da er dieselbe Entscheidung wie Eisenkiefer getroffen hätte, war er wortlos mit dem Aufteilen der Gruppe einverstanden. Mit einem leicht genervten Seufzen, wandte er sich in die entgegen gesetzte Richtung und trabte davon in dem Wissen, dass sein Blutsbruder bald darauf zu ihm stoßen würde.